Szenario-Technik und -Analyse

In der strategischen Unternehmensführung im weiteren und im Projektmanagement im engeren Sinne ist die Szenario-Technik ein mächtiges Instrument um Erfolgschancen und Risiken und deren kausale Zusammenhänge zu analysieren. Mit der Szenario-Technik werden mögliche Projektverläufe durchgespielt und analysiert, um daraus Strategien der Reaktion auf diese Szenarien zu entwickeln. Die Projektverläufe werden von Szenarien abgeleitet, welche auf Einflusskriterien und dessen Entwicklungen basieren.

Das Negative der Szenario-Technik vorweg: Die Szenario-Technik steht immer wieder in der Kritik, da die Szenario-Analyse eine oftmals mangelhafte Grundlage für die Ableitung von Leitstrategien für Projekte oder ganze Unternehmen darstellt. Die Richtigkeit der Ergebnisse/Aussagen der Analyse ist stark abhängig von der Informationsgrundlage, welche jedoch in der Regel sehr dürftig ist. Die Zukunft lässt sich nicht genau, manchmal nicht mal im Groben, vorhersagen und so sind auch alle Szenarien reine Fiktion. Es kann nur versucht werden, durch die Streuung der Szenarien in ihrer Zusammenstellung sowie die Bildung von möglichst realistischen Szenarien ein weites Spektrum an möglichen Zukunftsentwicklungen zu erhalten. Betrachtet werden dabei Einflussgrößen auf Szenarien, die das Geschäft des Unternehmens betreffen können. Mehr Szenarien und Einflussgrößen sorgen jedoch auch für mehr Aufwand. Generell wird der hohe Aufwand der Szenario-Technik kritisiert, der sich vor allem aus der Datenerhebung, aber auch in der Szenario-Zusammenstellung und -betrachtung ergibt.

Die Anfänge der Systematisierung der Szenario-Technik sind wahrscheinlich dem Militärwesen im 18. Jahrhundert zuzuordnen, um das mögliche Verhalten der Gegner in Szenarien zu ordnen und zu bewerten, um geeignete Gegenmaßnahmen zu finden. Für ökonomische und soziale Projekte gilt der Zukunftsforscher Herman Kahn als Impulsgeber für die heutige Szenario-Analyse.

Es können beliebig viele Szenarien betrachtet werden, wobei der Aufwand der Analyse mit Anzahl an Szenarien steigt. Mindestens aber werden drei Szenarien benötigt, ein Best- und Worst-Case sowie einen Mittelweg zwischen beiden.

Ein Szenario wird anhand von n > 2 Einflussbereichen gekennzeichnet. Jeder Einflussbereich hat n < 0 Einflussfaktoren. Jeder Einflussfaktor wird durch mindestens eine Messgröße, dem Deskriptor, beschrieben. Deskriptoren sind Messgrößen bzw. Kennzahlen, welche die Trends für die Einflussfaktoren beschreiben. Es sollten für jeden Einflussfaktoren mindestens ein quantitativer (z. B. Wirtschaftswachstum) und ein qualitativer Deskriptor (z. B. Qualität) bestimmt werden.

Beispiel: Einflussbereich: Kunden -> Einflussfaktor: Nachfrage -> Deskriptor [quantitativ]: Kaufkraft  und [qualitativ]: Kauflust

Ablauf einer Szenario-Analyse:

  1. Definition des Untersuchungsfeldes
  2. Erfassung der Einflussbereiche und -faktoren
  3. Analyse von Tendenzen hinsichtlich der Entwicklungen der kritischen Einflussfaktoren
  4. Entwicklung und Auswahl von konsistenten Annahmebündelungen in Szenarien
  5. Analyse der Auswirkungen von relevanten Störgrößen
  6. Erarbeitung der Projektentwicklungen unter den Szenarien
  7. Ableitungen von Konsequenzen und Reaktionsstrategien

Der größte Aufwand bei der Szenario-Analyse ist die Recherche und zuverlässige Bestimmung der Einflussfaktoren und Deskriptoren.

Beispiel einer Szenario-Analyse

Ein deutscher Automobilzulieferer mit Fokus auf Antriebstechnik stellt Getriebe und Differentiale her und bedient neben deutschen Automobilherstellern auch ausländische Kunden. Der starke Nachfrageanstieg nach Automobilherstellern in China ist eine große Chance für das Unternehmen und so soll das Chinageschäft in Zukunft weiter ausgebaut werden.

Für die Szenarioanalyse für die Expansion des Unternehmens werden folgende Bausteine – Einflussbereiche, Einflussfaktoren und Deskriptoren – aufgestellt:

Die Bestimmung und Abbildung der Szenarien muss in sich stimmig sein. Es ist daher besser, nicht alle Einflussbereiche zu berücksichtigen. Mehr als vier Einflussbereiche zu betrachten ist mit einem besonders hohem Aufwand verbunden.

Priorisieren der Einflussfaktoren

Die Einflussfaktoren stehen in einem komplexen Netzwerk aus Einflüssen. Die Einflussfaktoren beeinflussen sich auch untereinander. Es ist daher nicht optimal, wenn Einflussbereiche in der Szenario-Analyse einbezogen werden, die zu sehr von anderen Faktoren beeinflusst werden und somit in der Faktorenhierarchie nachrangig sind.

Die Einflussfaktoren können in einer Matrix gegenüber gestellt werden. Im obigen Beispiel werden die Einflüsse der Faktoren aus Spalten gegenüber den Faktoren aus Zeilen bewertet. Eine „2“ bedeutet hohen Einfluss, „1“ geringen Einfluss, „0“ keinen Einfluss. Beispielsweise haben Fahrer (Nutzer der Getriebe) einen hohen Einfluss auf die OEM-Automobilhersteller (Kunden). Die Fahrer haben jedoch nur einen geringen bzw. sehr indirekten Einfluss auf neue und bestehende Wettbewerber und überhaupt keinen Einfluss auf das Know-How des verfügbaren Personals (Mitarbeiter). Die Abwägung der gegenseitigen Beeinflussung von Einflussfaktoren unterliegt zwar eigentlich einer sachlichen Grundlage, welche jedoch nur vage bestimmt werden kann. Die Bestimmung der Beeinflussung ist daher teilweise abhängig von der Sichtweise und subjektiv geprägt. Daher sollte diese Aufgabe von einem Team nicht von einer einzelnen Person übernommen werden.

Die Ergebnisse aus der Matrix liegen als Aktivsumme und Passivsumme vor. Eine hohe Aktivsumme bedeutet, dass der Einflussfaktor (der Spalte) andere Einflussfaktoren im hohen Grade beeinflusst. Eine hohe Passivsumme bedeutet, dass der Einflussfaktor (der Zeile) im hohen Grade von anderen Einflussfaktoren beeinflusst wird.

Die Ergebnisse der Aktiv- und Passivsumme können für jeden Einflussfaktor in einem Koordinatensystem eingetragen werden. Eine hohe Priorität sollten Einflussfaktoren für die Szenarienanalyse bekommen, die andere Einflussfaktoren im hohen Grade beeinflussen und selbst wenig beeinflusst werden.

Prioritäten:

  1. Aktive Einflussfaktoren (in der Grafik oben links): Hohe Beeinflussung anderer Faktoren aktiv, jedoch nur wenige passive Beeinflussung durch andere Faktoren. Höchste Priorität.
  2. Ambivalente Einflussfaktoren (oben rechts): Hohe aktive Beeinflussung, jedoch auch hohe passive Beeinflussung. Hohe Priorität.
  3. Puffer (unten links): Beeinflussen andere Faktoren nur gering, werden selbst nur wenig von anderen Faktoren beeinflusst. Nahezu alleinstehende Einflussfaktoren.
  4. Passive Einflussfaktoren (unten rechts): Beeinflussen andere Faktoren nur gering, werden durch andere Faktoren stark beeinflusst.

Störereignisse

Störereignisse, welche vom Unternehmen kaum oder gar nicht beeinflusst werden können, wie Staats- oder Unternehmenspleiten (von Partnern, Kunden etc.), Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen, müssen generelle Berücksichtigung finden.

Es sind mögliche präventive und reaktive Gegenmaßnahmen zu überlegen, welche die schädliche Wirkung von Störereignissen verhindern oder zumindest mildern.

Teil-Szenarien (Trends)

Für die hoch priorisierten Einflussfaktoren sind nun Teilszenarien (Trends) für die zugehörigen Deskriptoren zu entwickeln. Die Trendskizzierung der Deskriptoren sollte möglichst transparent, nachvollziehbar und im Ansatz wissenschaftlich erfolgen. In der folgenden Darstellung wurden für drei Einflussfaktoren (die als besonders aktiv beeinflussend bewertet wurden) und deren jeweilige Deskriptoren jeweils zwei Teil-Szenarien beschrieben mit eigenen Chancen, Risiken und zu treffenden Maßnahmen.

Szenarien

Die Teilszenarien (Trends) werden nun zu mindestens zwei Gesamt-Szenarien gebündelt.

  1. Bündelung (Zusammenfassung) aller positiven Teil-Szenarien zu einem positiven Gesamt-Szenario
  2. Bündelung aller negativen Teilszenarien zu einem negativen Gesamt-Szenario
  3. Zusammenstellung von wahrscheinlichen Gesamtszenarien durch Auswahl von wahrscheinlichen Teilszenarien, unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind

Zumindest zwei extreme Gesamt-Szenarien (1. und 2.) sollten gebildet werden, um Leitstrategien bilden zu können. Hinzu können optional beliebig viele weitere Gesamtszenarien zusammengestellt werden. Ein bis drei weitere wahrscheinliche Gesamt-Szenarien sind empfehlenswert.

1. Positives Gesamtszenario:

Rohstoffe werden nicht signifikant knapper/teurer und das Kostenbewusstsein der Fahrer/Kunden in Sachen Energieeffizienz (Gewicht, Reibungsverluste, Steuerung etc.) steigt daher ebenfalls nicht. In den Schwellenländern können sich zudem immer mehr Menschen ein eigenes Fahrzeug leisten, auch Fahrzeuge mit komplexen Antrieben, wie SUVs, Geländewagen und Sportwagen werden immer beliebter. Eine gute Konjunktur sorgt für hohe Nachfrage, Kaufkraft und gute Konditionen zur Fremdkapitalbeschaffung, so dass Expansionen nicht mehr im Weg steht. Das aussichtsreiche China-Geschäft ist noch attraktiver, da der Euro-Kurs sinkt und Handelsbarrieren wie Importzölle reduziert werden, so dass die eigenen Produkte in Deutschland für chinesische Abnehmer relativ günstiger werden.

2. Negatives Gesamtszenario:

Rohstoffkosten steigen und Kraftfahrzeugführer werden immer kostensensibler, achten auf hohe Energieeffizienz (Gewicht, Reibungsverluste, Steuerung etc.). Fahrzeuge mit komplexen Antrieben wie SUVs, Geländewagen oder Sportwagen werden unbeliebter und generell können sich weniger Menschen ein Fahrzeug leisten. Die Fremdkapitalbeschaffung wird auf Grund einer angstgetriebenen Wirtschaftslage schwieriger und teurer, so dass eine Expansion des Geschäfts kaum möglich wird. Der Euro-Kurs und Importzölle steigen, für Nicht-EU-Nachfrager werden die eigenen Produkte aus Deutschland relativ teurer. Währungskursschwankungen sorgen für Verluste oder für Kosten durch Absicherungsinstrumente gegen Währungskursschwankungen. Zunehmender Protektionismus in Schwellenländern, wie dem Hauptabsatzmarkt China, sorgt für weitere Umsatzeinbrüche.

3. Wahrscheinliches Gesamtszenario:

Rohstoffe werden knapper und teurer, Fahrer/Kunden immer kostensensibler in Sachen Energieeffizienz. Dennoch steigt der Wohlstand in den Schwellenländern und im China-Geschäft findet sich vermehrt Nachfrage nach Fahrzeugen mit komplexen/gewinnbringenden Antrieben. Die Nachfrage steht insbesondere für sehr komplexe Antriebe für Oberklassewagen, jedoch auch für besonders sparsame Antriebe für Kleinwagen. Die Fremdkapitalbeschaffung wird schwieriger und Zölle zur Einfuhr in China steigen, jedoch bleibt der Euro-Kurs niedrig bzw. sinkt weiter. Einfuhrverbote und sonstiger Protektionismus bleiben in China aus. Die EU, Schwellenländer und insbesondere China bleiben wachsende Hauptabsatzmärkte.

Leitstrategie

Die Leitstrategie soll eine Strategie des Handelns sein, die auf alle relevanten Szenarien eingeht und versucht, schädliche Wirkungen zu vermeiden. Letztendlich basiert die Leitstrategie größtenteils auf den Maßnahmen, die von den Teilstrategien abgeleitet wurden.

Durch intensive Marktbeobachtung muss in regelmäßigen Abständen von mindestens sechs Monaten der Trend des Bewusstseins für Energieeffizienz seitens der Fahrer/Kunden beobachtet werden. Der Ausbau gewinnbringender Antriebe (z. B. Heck- und Allradantriebe für Oberklassewagen) ist fortzuführen, jedoch mit einem gleichzeitig höherem Engagement bei der Reduzierung von Gewicht und Reibung, auch in Form besonders sparsamer Antriebe (z. B. Kleinwagen-Frontantriebe). Beschleunigung des Ausbaus des China-Geschäfts, mit Blick auf Optimierung der Prozesse in der Produktions- und Lieferkette. Weitere Kundenakquise und -pflege in der EU. Förderung der wesentlichen Wertschöpfungsprozesse und Nutzung von Kapital zum Ausbau dieser, Reduzierung/Auslagerung von nicht wertschöpfenden Prozessen.

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