Kundenindividuelle Massenproduktion

Die Produktion wandelte sich in den letzten Jahrhunderten enorm. Während die Produktion vor 300 Jahren noch in Werkstätten oder kleinen Manufakturen lokalisiert war, brach ungefähr 1860 in der westlichen Welt und Deutschland die Industrialisierung an und die Wege der Massenproduktion wurden eingeschlagen. Durch die Massenproduktion konnten Güter produktiver und damit günstiger hergestellt werden. Dies sorgte erstmalig dafür, dass einige westliche Länder durch die hohe Versorgung von Arbeit und Gütern in flächendeckenden Wohlstand befördert wurden. Dadurch änderte sich auch das Konsumverhalten, denn Grundnahrungsmittel standen nicht mehr alleine im Nachfragespektrum der westlichen Gesellschaft.
Ein weiterer Höhepunkt war die darauffolgende Globalisierung nach dem zweiten Weltkrieg. Ressourcen wie Energie und Arbeitskraft wurden in den westlichen Ländern immer teurer, die Massenproduktion wurde teilweise in Drittweltländer verlagert, wodurch einige zu sogenannten Schwellenländern aufstiegen. In dieser Phase befindet sich die Menschheit noch heute.

Es zeichnet sich jedoch in den Industrieländern ein neuer Trend ab, welcher ein neues Produktionszeitalter einleiten könnte. Westliche Volkswirtschaften tendieren daher zur kundenindividuellen Massenproduktion (engl.: Mass Customization). Die Grundbedürfnisse der Menschen in den entwickelten Industrieländern sind weitgehend befriedigt und sowohl private Haushalte als auch Unternehmen geben sich nicht länger nur mit Standardprodukten zufrieden.

Bei Standardprodukten muss der Kunde jenes Standardprodukt aussuchen, welches seine speziellen und individuellen Anforderungen am ehesten gerecht wird, für alle weiteren Anforderungen muss der Kunde Kompromisse eingehen und sich selbst an die Produkteigenschaften anpassen. Wird ein Produkt benötigt, welches ganz spezielle Anforderungen zu hohem Grad erfüllt, musste der Nachfrager eine Einzelproduktion in Auftrag geben, was sehr kostenintensiv und daher kaum wirtschaftlich ist.

Der Trend geht dahin, dass Produkte vordefinierte Grundeigenschaften und -funktionen erfüllen, jedoch zu einem gewissen Grad an kundenindividuelle Anforderungen angepasst werden können.

  • „Weiche“ kundenindividuelle Massenproduktion (Soft Mass Customization)
    Das Produkt wird durch kundenindividuellen Einstellungen personalisiert, die Produktion selbst wird nicht individualisiert, es gibt also keine alternativen Fertigungswege.
    Beispielsweise können verschiedene Programme installiert oder das Produkt durch Schnittstellen nach Bedarf umgestaltet oder erweitert werden. Die Soft Mass Customization wird in der Konzeptionierungs-/Entwicklungs-/Konstruktionsphase festgelegt.
  • „Harte“ kundenindividuelle Massenproduktion (Hard Mass Customization)
    Die Produktion arbeitet mit vordefinierten, jedoch kundenbeeinflussten Vorprodukten und Fertigungsprozessen, indem der Kunde sich das Produkt nach (vom Hersteller vorgegebenen) Optionen selbst zusammenstellt bzw. personalisiert. Beispiele: Der Kunde stellt sich für eine Bestellung die Ausstattung für ein Automobil oder einen Computer zusammen. Die Lieferzeit ist tendenziell umso höher, je tiefer die Optionen in die Produktinstehungsprozesse eingreifen. Die Herausforderungen hierbei ist die komplexe Planung von Produktion und Logistik. Die Produktion ist auftragsbezogen, der Produzent geht jedoch mit vordefinierten Teilen, Baugruppen und Features in Vorleistung.

Noch zu Zeiten der Industrialisierung gab es im Grunde nur die kundenindividuelle Einzel- oder Kleinserienproduktion in Werkstätten oder die kapitalintensive Massenproduktion. Heute können mehr Produktionsarten unterschieden werden, mit Zwischenstufen (welche teilweise fließend ineinander übergehen) zwischen diesen beiden Extremen:

  1. Ebene – Neuentwicklung nach Kundenauftrag (Engineer-To-Order) | Einzel- bis Kleinserien | Beispiele: Software-Entwicklung, Anlagenbau
  2. Ebene – Auftragsfertigung (Make-To-Order) | Klein- bis Mittelserien | Beispiele: Erneuerbare Energien, Werkzeugmaschinenbau, Fahrzeugtechnik (Zuliefererindustrie)
  3. Ebene – Auftragsmontage (Assemble-To-Order) | Mittel- bis Großserien | Beispiele: Automobilbau, PCs
  4. Ebene – Auftragsbezogene Konfiguration (Configure-To-Order) | Großserien- bis Massenproduktion | Beispiele: Standardsoftware
  5. Ebene – Auftragsneutrale, lagerbezogene Produktion (Make-To-Stock) | Mittelserien- bis Massenproduktion |  Beispiele: Lebensmittelindustrie, Pharmaindustrie

In den Industrieländern ist die Preisakzeptanz für individuelle Produkte höher, die potenziellen Kunden haben für individuelle Produkte eine höhere Zahlungsbereitschaft.
In den Drittwelt- und Schwellenländern mit Versorgungsknappheit ist die Massenproduktion weiterhin vorherrschend, jedoch zumindest die Schwellenländer werden zukünftig diesem Trend der kundenindividuellen Produktion folgen.

Wann ist eine kundenindividuelle Massenproduktion sinnvoll?

Die Massenproduktion gilt immer noch als sehr kapitalintensiv, denn es werden maschinelle Anlagen mit entsprechenden Kapazitäten benötigt und die Produktion erfolgt ins Lager, was hohe Lagerkosten und Kapitalbindung bedeutet.  Eine tiefgehende kundenindividuelle Produktion kann die Ausmaße einer Massenproduktion erreichen, wird dann jedoch nicht die Produktivität und Stückkostenreduzierung erreichen können, wie bei der linearen Massenproduktion. Die Kundenindividualität wird mit höheren Stückkosten erkauft.

 

Die Massenproduktion setzt eine hohe Anfangsinvestition voraus und lohnt sich damit erst ab einer hohen jährlichen Produktionsmenge. Sinken die Produktionskosten bei steigender Produktionsmenge unter die Kosten der kundenindividuellen Produktion, wird letztere wirtschaftlich unattraktiver. Bei sehr hoher Produktionsmenge ist eine Hard Mass Customization daher selten zu finden und die Personalisierung bleibt bei einer Soft Mass Customization.

Kundenindividuelle Massenproduktion durch Industrie 4.0

Das deutsche Zukunftsprojekt Industrie 4.0 strebt die Bündelung neuer Technologien an, die eine höhere Produktivität und vor allem Flexibilität in die Produktion, auch in Massen, bringen soll. Produktions- und Lieferzeiten werden durch intelligente Steuerung verkürzt und hinsichtlich des Ressourceneinsatzes optimiert werden. Die virtuelle Realität wird Produkte von noch besserer Qualität schaffen, bei kostengünstigerer Produktentwicklung, die näher an die Fertigungsprozesse rücken wird. Durch das Internet der Dinge wird die Produktion und Logistik zuverlässiger sowie für Kunden transparenter werden. Insgesamt wird die Industrie 4.0 anders als die vorangegangenen Industrierevolutionen nicht nur insgesamt die Produktivität, sondern vor allem die Flexibilität erhöhen und somit die kundenindividuelle Massenproduktion in Zukunft zum Normalfall machen.

Industrie 4.0