Industrie 4.0 – Konzepte und Herausforderungen

Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 wird unsere Industrie verändern. Produktions- und Lieferzeiten werden durch intelligente Steuerung verkürzt und hinsichtlich des Ressourceneinsatzes optimiert werden. Die virtuelle Realität wird Produkte von noch besserer Qualität schaffen, bei kostengünstigerer Produktentwicklung, die näher an die Fertigungsprozesse rücken wird. Durch das Internet der Dinge wird die Produktion und Logistik zuverlässiger sowie für Kunden transparenter werden. Insgesamt wird die Industrie 4.0 anders als die vorangegangenen Industrierevolutionen nicht nur insgesamt die Produktivität, sondern vor allem die Flexibilität erhöhen, bis hin zur kundenindividuellen Massenproduktion.

Industrie 4.0

 

Die Fabrik 4.0 soll…

  1. sich selbst digital abbilden und simulieren können und gleichzeitig möglichst mit der Realität verschmelzen,
  2. Produktionssysteme, Produkte und Dienste mit Informationen ausstatten und miteinander kommunizieren lassen,
  3. durch Datenanalysen in ihrer Situation aufgenommen, überwacht und im Generellen optimiert werden,
  4. sich darauf aufbauend durch künstliche Intelligenz selbst steuern und im Speziellen auch selbst optimieren können.

Digital Factory- Von der virtuellen Realität zum realen Produkt

Die digitale Fabrik stammt ursprünglich aus der Industrie 3.0 im fortgeschrittenen Stadium, setzte jedoch bereits seichte Anfänge in die Industrie 4.0. Nachdem CAD bereits für die Konstruktion, Simulationen und Digital Mock-Ups (virtuelle Versuchsmodelle) in der Produktentwicklung zum Standard wurde, rückten auch immer mehr die Produktionsstätten selbst in den Fokus der virtuellen Realität. Die digitale Fabrik ist übrigens nicht mit der virtuellen Fabrik zu verwechseln!

Die digitale Fabrik ist heute bei der Fabrikplanung und -simulation nicht nur mehr unverzichtbar, sondern wird laufend weiterentwickelt. Im sogenannten Cave (Käfig) können Mitarbeiter die Fabrik virtuell beinahe so erleben, als würden sie tatsächlich in der realen Fabrik stehen. Es können im Vorfeld Gefahrenquellen bei der Fertigungsmittelanordnung sowie Optimierungsmöglichkeiten in den Energie- und Materialflüssen erkannt werden, noch bevor die Produktionsstätten errichtet werden!

Innerhalb der Industrie 4.0 wird sich die digitale Fabrik immer näher an die reale Fabrik annähern. Beispielsweise werden Maschinen ihre eigenen Konstruktionsdaten und virtuelle Modelle von sich selbst speichern können, so dass diese nur über eine Schnittstelle ausgelesen und in ein digitales Fabrikmodell übertragen werden müssen, um ein vollständiges Modell der Fabrik (auf Wunsch sogar mit Ist-Maschinendaten) zu erhalten. Die Fabriksimulation und -überwachung wird zunehmend mit dem Konzept der digitalen Fabrik verschmelzen.

Auch die Produktentwicklung – Konstruktion, Simulation und Versuchsdurchführung – wird zunehmend rein digital in Modellen ablaufen. Klassische CAD-Daten werden überflüssig werden, denn zukünftig wird es nur ein Modell geben, welches der Konstruktion, Simulation und virtuellen Versuchsdurchführung als Grundlage dient. Außerdem werden sich diese Modelldaten im Rahmen der Industrie 4.0 in Zukunft schneller in die Realität übertragen lassen. Eines der Konzepte ist der 3D-Druck, der sich schon heute im Ansatz für den Prototypenbau durchführen lässt. In Zukunft werden 3D-Drucker die Produktion vor allem flexibler und individueller machen. Der 3D-Druck kann über verschiedene technische Methoden erfolgen, ermöglicht die sofortige Produktion basierend auf rein digitalen Modellen und wird durch Weiterentwicklung in den nächsten Jahrzehnten sehr viel leistungsfähiger werden, und auch kostengünstiger.

Einige Produkte werden dann möglicherweise kaum mehr in Fabriken hergestellt, sondern als virtuelles Modell über das Internet gehandelt sowie übertragen und dann in kleineren Werkstätten oder sogar im privaten Wohnzimmer in die reale Welt übertragen. Nötig sind dann nur noch ein virtuelles Modell des Produktes und ein leistungsfähiger 3D-Drucker.

Cyber Physical Systems – Vernetzung bis hin zum Internet der Dinge

Cyber Physical Systems bezeichnet das Konzept, reale Dinge – im Kontext der Industrie 4.0 vorwiegend Produkte und Betriebsmittel – mit Wissen auszustatten und zu vernetzten. Es soll eine Kommunikation zwischen Dingen erreicht werden. Dieses Konzept finden wir im Alltag in Industrienationen schon länger vor. Ein mittlerweile klassisches Beispiel ist der Barcode-Scanner an der Ladenkasse und die Barcodes auf den Produkten. Durch den Barcode-Scanner werden Informationen über das Produkt ausgelesen, die im Barcode enthalten sind. Dieses optoelektronische Verfahren ist längst auch gängige Praxis in der Logistik.

Auf Barcodes lassen sich schon viele Informationen speichern, jedoch muss ein Sichtkontakt mit dem Scanner bestehen. Barcodes könnten beispielsweise von RFID-Transpondern (Radio-Frequency Identification) ersetzt werden, die als eine der Schlüsseltechnologien für Industrie 4.0 angesehen werden. RFID arbeitet über Funktechnik und ermöglicht den drahtlosen, schnellen und absolut unauffälligen Datenaustausch, auch verschlüsselt. Die Transponder bestehen aus einem Mikrochip, einer kleinen Antenne und einem Gehäuse. RFID-Transponder können schon jetzt so klein wie ein Reiskorn sein, die Verkleinerung in Richtung Sandkorn ist in Zukunft nicht undenkbar. Im Fokus der Verbesserung steht insbesondere die Energieversorung, die aktiv (über eine interne oder externe Batterie) und passiv (über elektromagnetische Felder bzw. Induktion, das von externen Drittquellen aufgebaut wird, z. B. dem Lesegerät) möglich ist.

Durch den intelligenten Einsatz von RFID ist es möglich, Materialflüsse in der Produktion und Logistik zu optimieren, flexibler und transparenter zu machen. Beispielsweise könnten in Zukunft Bauteile wissen, wie sie zu verbauen oder zu bearbeiten (z. B. lackieren) sind und dies über RFID den Produktionssystemen mitteilen. Damit wird Integrated Industrie möglich und bedeutet, dass Werkstücke selbst ihren Weg durch die Produktion bestimmen. Auch eine Live-Überwachung der Produktion und  Logistik (z. B. Paket- und Containerlogistik) ist mit RFID einfacher möglich, so dass – wenn gewünscht – Kunden in nahezu Echtzeit über den Stand der Produktion oder Lieferung informiert werden können.

RFID ist jedoch eher für die innerbetrieblichen Produktion-/Logistik geeignet. Zwar können Transponder mit aktiver Energiequelle eine Sendeleistung von mehreren Kilometern erreichen, dies ist jedoch nur in wenigen Anwendungsfällen sinnvoll und verursacht große Bauformen und hohe Stückkosten. Passive Sender beschränken ihre Sendeleistung auf einige Meter, was in den überwiegenden Fällen auch ausreichend sein dürfte.

Weiter geht das Konzept Internet der Dinge. Unser Alltag ist bereits von Geräten geprägt, die ein WLAN-Modul (Wireless Local Area Network) oder ein Mobilfunk-Modul (GSM, UMTS, LTE) verbaut haben. Das sind längst nicht mehr nur Telefone und Notebooks, sondern auch Fernseher, Autos und sogar Haushaltsgeräte wie der Kühlschrank. Idee dieser Anbindung an das Internet ist nicht primär nur die Verfügbarkeit von Webdiensten aus dem Internet, sondern die Vernetzung der Geräte untereinander und die Funktionssteuerung/-überwachung der Geräte von überall aus.

In der Industrie ist diese Extremform von Cyber Physical Systems z. B. für die Fernwartung von Industrierobotern interessant. Es könnten ganze Steuerungs- und Überwachungsnetze für Produktionsanlagen und Transportmittel entstehen, die sich in der Unternehmenszentrale bündeln oder auch dezentral verteilt sind.

Technische Grundvoraussetzung für das Internet der Dinge ist das Internet Protocol in der Version 6 (IPv6), da nur dieses ausreichend viele Adressierungsmöglichkeiten (nämlich im Sextillionen-Bereich) bietet, um zusätzlich zu den in ihrer Anzahl täglich ansteigenden Computern auch noch Unmengen an Produkten, Betriebs- und Transportmittel zu vernetzen.

Dem Internet der Dinge in der Industrie stehen jedoch noch viele Hürden entgegen. Ein Hauptargument für die Industrie gegen diesen Trend ist die bisher noch schlechte Infrastruktur für den drahtgebundenen und drahtlosen Datenaustausch. Anders als im Konsumerbereich, verlangen industrielle Anwendungen hohe Ausfallsicherheiten, lückenlose Abdeckungen und garantiert niedrige Latenzen, denn bei Ausfällen oder Verbindungsabbrüchen könnten Millionenschäden drohen, z. B. wenn ganze Lieferungen unbrauchbar werden oder Produktionslinien still stehen.

Der wichtigste Bremspunkt für die Umsetzung bleibt die IT-Sicherheit. Dabei spielt die Datensicherheit eine nicht untergeordnete Rolle, denn immerhin verfügen Produktionssysteme über wichtige Unternehmensdaten (z. B. Produktmodelle oder Produktionspläne mit Daten über Kunden und Lieferanten), aber auch Hacker fürchtet die Industrie. Mit der totalen Vernetzung der Fabrikelemente wäre es nicht undenkbar, dass Hacker Produktionen stilllegen oder sogar Maschinen so steuern, dass diese eine sabotierende Wirkung haben oder sogar Menschen gefährden.

Fehlende Standards beim Datenaustausch und der IT-Sicherheit erschweren zudem die Umsetzung oder anders ausgedrückt: Da im Vorfeld wenige Standards zum Datenaustausch festgesetzt werden, gibt es hier viele Reibungsverluste in der Umsetzung, da sich diese Standards erst später entwickeln. Die Technik, die sich durchsetzen kann, wird dann für gewöhnlich zum Standard.

Big Data – Prozessoptimierung durch (Massen-)Datenanalyse

Big Data ist ein großer Hoffnungsträger für die Industrie 4.0. Der Begriff steht für die Ansammlung und Auswertung von Unternehmens-, Markt- und sonstigen Daten (z. B. über das Wetter oder die Verkehrssituation) mit Blick auf einen vergangenen Zeitraum oder in (nahezu) Echtzeit. Ziel der Auswertung ist die Überwachung der vergangenen oder gegenwärtigen Prozesse sowie die Vorhersage zukünftiger Prozesse und Ereignisse. Der Begriff Big Data ist eigentlich irreführend, da dieser nur die Daten bezeichnet. Die Daten alleine haben jedoch noch keinen Effekt, sondern erst die Analyse dieser Daten – Big Data Analytics.

Die gestiegene Rechenleistung der Hardware, die sich bis hin zu Supercomputern beinahe beliebig bündeln lässt, sowie bessere Analyse-Konzepte auf der Softwareseite (z. B. In-Memory-Data-Grids und No-SQL) ermöglichen stochastische Auswertungen (Stochastik -> Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie) über Datenmassen in Gigabyte-, Terabyte- und Petabyte-Bereichen. Big Data ist aber nicht nur rein durch Massen bestimmt, sondern auch durch Komplexität ihrer Struktur, Verteilung und inhaltlichen Bedeutung. Auch mittlere Datenmengen im Gigabyte-Bereich können Big werden, wenn diese eine hohe Komplexität bei der Analyse erhalten. Big Data Analytics lebt von Algorithmen.

In der Produktion kann eine gezielte Datenanalyse von Kapazitäten, Einsatzplänen, Arbeitsplänen, Maschinen, Qualifikationen und Konstruktionsmerkmalen die richtige Prozessreihenfolge bei zeitkritischen Projekten bestimmen. Auswirkungen von Änderungen an Produktionsmethoden könnten weitere Informationen über Verbesserungspotenzial erbringen. Die Analyse von Maschinendaten ist ein Wegbereiter für eine realistischere Einsatzplanung und kann dazu genutzt werden, die Ausfallsicherheit zu erhöhen. Beispielsweise können Leistungswerte und Materialermüdung  in Flugzeugtriebwerken durch Analyse von Sensordaten rechtzeit erkannt werden. Ein Ziel der Industrie 4.0 ist zudem die Weiterentwicklung der vorbeugenden Maschinenwartung (Preventive Maintenance) zur voraussagenden Fernwartung (Predictive Maintenance) durch Analyse von Ausfallzeiten und Überwachung von Verschleißteilen. So können Wartungspläne nach tatsächlichen Bedarf vollzogen werden und nicht nur nach starrem Plan nach Zeit oder bisher vollbrachter Leistung.

Gerade der Erfolg der Massenproduktion ist auf die realistische Einschätzung des Marktes angewiesen. Im Marketing spielen Datenanalysen traditionell schon länger eine wichtige Rolle. Im Rahmen der Industrie 4.0 kann es für manche Produzenten sinnvoll sein, Analysen über Nachfrageverhalten direkt an die Produktion zu binden. So können Ressourcen sinnvoller eingesetzt und Kapazitäten abhängig von Marktsitutationen geplant werden. Nicht uninteressant ist auch die Frage, ob kausale Zusammenhänge zwischen Kundenfeedback und kürzlichen Veränderungen in der Produktion zu finden sind. Für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ist es wichtig, dass die Produktion und Logistik schnell auf Marktsitationen und Kunden reagiert.

Big Data Analytics macht Verkehrsprognosen in Zukunft noch sehr viel präziser und auch die betriebliche Logistik kann davon profitieren. Welche Wege in Produktion und Logistik sind die schnellsten und sichersten? Gibt es regionale Clusterbildungen, an die die logistische Infrastruktur angepasst werden sollte?

Die Vorhersagemethoden erlauben, bessere Einschätzungen über Produktions- und Lieferzeiten geben zu können. Auch Kosteneinschätzungen könnten eine bessere Grundlage erhalten, was vorteilhaft für Kunden (bessere Kostenvoranschläge) und die Geschäftsführung (richtige Budgets) sein kann.

Es fehlt jedoch noch weitläufig an Theorie und Berechnungsmodellen für die Analyse von Produktions- und Logistiksystemen, die nun durch Vernetzung eine neue Komplexität erhalten. Problematisch sind seltener die eigentlichen Analysen, sondern die polystrukturierten Daten, die komplexe ETL-Prozesse nötig machen (Extrac-Transform-Load).

Das Sammeln und Auswerten von Daten muss jedoch stets an den nationalen Gesetzesrahmen angepasst werden. Hier spielt insbesondere der Datenschutz, also der Schutz personenbezogener Daten, eine wichtige Rolle, die es zu respektieren gilt.

Smart Factory – Autonome Entscheidungsprozesse

Die Smart Factory, also die intelligente Fabrik, ist die Ergänzung der Mittel der digitalen Fabrik, Cyber Physical Systems und Big Data mit autonomen Entscheidungsprozessen und künstlicher Intelligenz. Die Fabrik soll sich selbst konfigurieren und ihre Produktion anpassen. Dies fängt an bei der automatischen und bedarfsorientierten Regelung der Hilfssysteme wie Lüftung, Kühlung und Schmierung, endet aber noch lange nicht bei der selbstständigen Optimierung der Materialflüsse oder gar der Leistungsparameter (z. B. Umdrehungen pro Minute) einzelner Maschinen.

Produktionssysteme der intelligenten Fabrik sollen den Produktionsplan kennen und automatisch Auslastungen verteilen, Rüstzeiten selber festlegen und auch selbst Abweichungen von der Norm oder von üblichen Ergebnissen erkennen. Die Produktionsmaschinen sollen ihre Verarbeitungsergebnisse über sensorische, akustische oder optische Überwachungssysteme selbst hinsichtlich Korrektheit und Qualität beurteilen, idealerweise auch aus Fehlern (falsche Parameter) lernen.

Technisch gesehen gibt es hier viele Herausforderungen auf den Gebieten der künstlichen Intelligenz. Aber nicht für jede Anwendung wird gleich eine ausgeklügelte künstliche Intelligenz benötigt, denn für die meisten Anwendungen bedarf es nur einiger Logik und Technik, wie genaue Sensorik, digitale Signal- bzw. Bildverarbeitung, Mustererkennung usw.

Sich selbstoptimierende Maschinen-Steuerungen, wie sie beispielsweise vom Fraunhofer-Anwendungszentrum Industrial Automation (IOSB-INA) entwickelt werden, können einzelne Maschinen oder ganze Produktionsanlagen ihr Verhalten oder Materialflüsse selbständig an unterschiedliche Situationen anpassen und so die Produktivität erhöhen und den Verbrauch von Energie oder Material verringern.

Ein weiteres Konzept aus der Energieversorgungsbranche ist Smart Grid, das als intelligentes Stromnetz die Vernetzung und Steuerung von Stromerzeugern, Speichern, elektrischen Verbrauchern und Betriebsmitteln in Energieübertragungs- und -verteilungsnetzen der Elektrizitätsversorgung verwirklicht. Smart Grid zielt auf die Überwachung und Steuerungsoptimierung der Bestandteile der Stromnetze ab und kann dadurch Kosten und Ressourcen einsparen.

Die einzelnen Konzepte der Industrie 4.0, die mit der realen Welt verschmelzenden virtuellen Realität, miteinander kommunizierende Dinge, Datenanalysen und künstliche Intelligenz, stehen eigentlich nicht für sich selbst, sondern bauen teilweise gegenseitig auf sich auf und verstärken ihren Effekt auch gegenseitig.

Für Fachkräfte bedeutet die Industrie 4.0 viele fachliche Herausforderungen und für Unternehmen einen hohen Qualifizierungsbedarf. Die Industrie 4.0 könnte dafür aber nicht nur ein Exportschlager werden, sondern auch Mitteleuropa als Produktionsstandort wieder attraktiver machen.